Über kaum einen Beruf gibt es mehr Mythen und Halbwahrheiten als über jenen des Rechtsanwalts. Im Folgenden haben wir daher ein paar der Gängigsten zusammengefasst, um Ihnen bei der Auswahl des für Sie passenden Rechtsanwalts ein wenig zu helfen.
Auf den ersten Blick scheint es logisch. Wer ein Bauverfahren führt, wählt beim Rechtsanwalt einen Spezialisten für Baurecht, wer einen Verkehrsunfall hatte, wählt einen für Verkehrsrecht aus usw. . Allerdings benötigen nur wenige Fälle tatsächlich einen Spezialisten. Das für einen konkreten Fall zur Bearbeitung erforderliche Wissen lässt sich meist mittels Recherche gewinnen (mit derartigen Recherchen verbringen Rechtsanwälte in der Praxis einen erheblichen, wenn nicht sogar den größten Teil ihrer Arbeitszeit). Erfordert ein Fall tatsächlich ein größeres Maß an Spezialisierung, so wird ein Rechtsanwalt in aller Regel (schon allein um sich keinem Haftungsrisiko auszusetzen) darauf hinweisen und den Mandanten an einen geeigneten Kollegen vermitteln. Zudem gibt es in Österreich keine Fachanwaltsausbildung. Während sich Rechtsanwälte in Deutschland unter Erfüllung diverser Voraussetzungen in bestimmten Bereichen als Fachanwälte bezeichnen dürfen, sind Spezialanwälte in Österreich immer nur selbsternannt. Ungeachtet dessen sind die Schwerpunktgebiete, welche Rechtsanwälte meist in ihren Webauftritten angeben, Bereiche, in welchen sie verstärkt tätig sind. Angesichts des auch im internationalen Vergleichs sehr guten Ausbildungsniveaus der österreichischen Rechtsanwälte kann bei der Vertretung durch einen Rechtsanwalt in einem von ihm als Schwerpunkt bezeichneten Bereich mit qualitativ hochwertiger Vertretung gerechnet werden.
Es findet sich kaum ein Webauftritt einer Kanzlei, auf welchem nicht Sätze wie "wir beraten Sie individuell" oder "wir finden für unsere Mandanten maßgeschneiderte Lösungen" vorkommen. Tatsächlich sind individuelle Lösungen im Bereich der Rechtsberatung meist so notwendig wie die Maßanfertigung einer Jeanshose. Jede effizient arbeitende Kanzlei prüft bei einer neuen Aufgabe vorab, ob sie schon einmal etwas Ähnliches gemacht hat (so verfasst ein Rechtsanwalt meist nicht zum ersten Mal in seinem Leben eine Besitzstörungsklage oder einen Mietvertrag). In aller Regel haben Kanzleien für die meisten Aufgaben auch bereits vorgefertigte Muster und Formulare. Eine neue "individuelle" Lösung sollte daher eigentlich immer das letzte mögliche Mittel sein, wenn der Mandant nicht mit hohen Kosten belastet werden soll.
In einigen Staaten können Juristen unmittelbar oder sehr kurz nach Ihrem Universitätsabschluss als Rechtsanwalt tätig werden. In den ersten Berufsjahren hat dies die Konsequenz, dass eingehende Berufserfahrung noch nicht vorhanden ist. In Österreich besteht dieses Problem hingegen nicht. Um als Rechtsanwalt zugelassen zu werden, muss ein Jurist nach seinem Universitätsabschluss fünf Jahre praktisch tätig sein, davon mindestens drei Jahre als angestellter Berufsanwärter bei einem Rechtsanwalt und fünf Monate an einem Gericht. Dadurch hat ausnahmslos jeder österreichische Rechtsanwalt von Anfang an bereits etliche Jahre an Berufserfahrung gesammelt und ist die Qualität der österreichischen Rechtsanwälte auch im internationalen Vergleich äußerst hochwertig. Das Alter des Rechtsanwalts hat daher – zumindest in Österreich – keinen Einfluss auf die Qualität der Vertretung.
Vor allem große Kanzleien werden gerne als Wirtschaftskanzleien bezeichnet. Wie schon beim Spezialisten ist aber auch die Bezeichnung als Wirtschaftsanwalt bzw. als Wirtschaftskanzlei an keine Voraussetzungen geknüpft. Auch Wirtschaftsanwälte sind daher immer nur selbsternannt.
Allgemein gelten Rechtsanwälte als sehr gut verdienender Berufsstand. Dafür gibt es immer wieder auch Geschichten von Rechtsanwälten, die mit ihrem Beruf allein nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zur Gänze zu decken. Die einfache Wahrheit ist, dass Rechtsanwälte Unternehmer sind. Wie bei allen anderen Unternehmern auch, ist ihr Einkommen ausschließlich vom wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens abhängig. Dementsprechend reicht die Einkommensspanne vom Insolvenzfall bis hin zum Millionär. In Österreich ist der Anwaltsstand aufgrund des sehr restriktiven Zugangs zum Anwaltsmarkt und der langen Ausbildungszeit aber vor allem im Vergleich zu anderen Staaten finanziell gut gesichert.